Gold und Silber:Die ungleichen Geschwister

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Die vergangenen Wochen haben es wieder einmal gezeigt: Die Preise von Silber und Gold können sich sehr unterschiedlich entwickeln. Woran aber liegt das? Ein paar Gründe.

Von Harald Freiberger, München

Der 27. April dieses Jahres war der Tag, an dem für Carsten Fritsch eine neue Jahreszeit begann. Da veröffentlichte der Rohstoff-Experte der Commerzbank einen dreiseitigen Bericht über Silber. Analysten neigen normalerweise zu einer nüchternen Sprache. Weil der Silberpreis in den Tagen aber davor rasant gestiegen war, ließ sich Fritsch zu einer blumigen Zusammenfassung hinreißen: Er sprach vom "Frühlingserwachen bei Silber".

Innerhalb von zwanzig Tagen war der Kurs des Edelmetalls um ein Fünftel auf fast 18 Dollar pro Unze (31 Gramm) geklettert. Der Silberkurs schwankt zwar stark, doch einen solchen Anstieg sieht man nicht alle Tage. Nachdem zum Jahresanfang der Goldkurs extrem geklettert war, richtete sich nun das Interesse der Investoren auf das zweitwichtigste Edelmetall. Gerade in den unsicheren Zeiten, wie sie seit Anfang des Jahres auf den Kapitalmärkten herrschen, gewinnen die Edelmetalle an Attraktivität. Analyst Fritsch glaubt, dass dies eine Zeit lang so bleiben wird. "Auch wenn es bei Silber immer wieder Rückschläge geben kann, bleibt das Potenzial nach oben intakt", sagt er. Erst vor Kurzem erhöhte er seine Prognose für den Preis pro Unze zum Jahresende von 17 auf 18 Dollar.

Silber und Gold sind wie zwei ungleiche Geschwister, die immer wieder auseinanderstreben, bei denen am Ende aber doch deutlich wird, dass sie aus derselben Familie stammen: Beide sind Edelmetalle, beiden hatten historisch eine Funktion als Zahlungsmittel, beide sind Anlagen, die zwar keinen Zins abwerfen, aber immer einen Wert behalten werden - auch wenn dieser schwanken kann. Vor allem aber gelten sie als Krisenwährung, sie sind gefragt, wenn die Sorgen um die Weltwirtschaft und die Angst vor Geldentwertung dramatisch zunehmen.

Die Kurse von Gold und Silber können sich - jedenfalls über einen kürzeren Zeitraum - stark unterschiedlich entwickeln. "Die Beweggründe dahinter sind oft schwer zu durchschauen", sagt Robert Hartmann, Gründer des Münchner Edelmetall-Händlers Pro Aurum. Doch auf längere Sicht gleichen die Kurse von Gold und Silber sich immer wieder an. Das zeigen auch die Kursverläufe seit Anfang des laufenden Jahres (Grafik): Zunächst schien der Kurs des Goldes dem von Silber davonzulaufen, im April holte Silber stark auf und notierte eine Zeit lang sogar stärker. In den vergangenen zwei Wochen pendelte es sich wieder ein, so dass beide Edelmetalle sich fast gleich entwickelten: Silber legte seit 1.

Wertanlage rauchender Affe: Der Wert dieses silbernen Fabergé-Kerzenhalters beim Auktionshaus Christie's wird auf 30 000 bis 50 000 Pfund (etwa 39 000 bis 65 000 Euro) geschätzt. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Januar um 20 Prozent zu, Gold um 18 Prozent. Ein wichtiger Unterschied ist, dass Silber stärker industriell genutzt wird. Etwa die Hälfte des gesamten Vorkommens findet Verwendung in Elektronik oder Photovoltaik. Beim Gold liegt diese Quote nur bei einem Zehntel. Das bedeutet, dass Silber auch stärker im Preis anzieht, wenn die Wirtschaft boomt, weil die Nachfrage dann steigt. Beim Gold ist es eher umgekehrt: Bei ihm steht der Werterhalt für Investoren im Vordergrund. Gerade in Krisenzeiten wird es als sicherer Anker attraktiv, wie sich nach der Finanzkrise 2008 zeigte.

Der größte Unterschied zwischen Gold und Silber liegt in ihrem Wert. Der Goldkurs steht derzeit bei 1250 Dollar pro Unze, der Silberkurs bei 16,50 Dollar - das heißt, Gold ist 75-mal wertvoller. "Silber hat deshalb auch den Ruf als Gold des kleinen Mannes", sagt Pro-Aurum-Gründer Hartmann. Schließlich bekommt man für 3300 Euro derzeit gerade drei Goldmünzen, aber 225 Silbermünzen.

Das Wertverhältnis zwischen Gold und Silber ist ein wichtiger Indikator für Edelmetall-Experten. "Steigt die Relation über 80, ist das für uns ein Zeichen, dass der Goldkurs im Verhältnis zum Silber zu teuer ist", sagt Hartmann. Im Februar stieg diese Relation bis auf 84, viele Investoren schichteten deshalb um: Sie verkauften Gold und kauften Silber, weshalb sich die Kurse wieder einander annäherten. Im langfristigen Durchschnitt liegt das Verhältnis bei 50. Auch aus diesem Grund sehen die Experten weiteres Potenzial nach oben für den Silberpreis.

"Wir bekommen nicht die Mengen geliefert, die wir für unsere Kunden bräuchten."

"Fundamental spricht derzeit vieles für Silber", sagt Hartmann. Es gebe eine starke Nachfrage von Investoren, die das Edelmetall zur Absicherung ihrem Anlagekorb beimischen. Bei den begehrtesten Silbermünzen, dem American Eagle und der kanadischen Maple Leaf, gibt es sogar Lieferprobleme. "Wir bekommen schon seit vergangenem Winter nicht die Mengen geliefert, die wir für unsere Kunden bräuchten", sagt der Münchener Edelmetall-Händler. Sparprodukte und sichere Anleihen bringen keine Zinsen mehr, Aktien sind stark gestiegen. "Wegen des Anlagenotstands kommen immer mehr Investoren auf die Idee, dass Silber in den nächsten drei bis fünf Jahren in neue Kursregionen steigen könnte", sagt Hartmann.

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: wir_grafiken200516)

Das heißt aber nicht, dass es zwischendurch nicht auch nach unten gehen kann. Gerade in den vergangenen zwei Wochen fiel der Silberpreis deutlich. Commerzbank-Analyst Fritsch sieht darin eine Gegenreaktion der Investoren nach dem starken Anstieg davor. Auch am Donnerstag kam es zu einem Preisrutsch um drei Prozent. Ursache waren Sorgen, dass die US-Notenbank Fed den Zins doch bald erhöhen könnte. Das macht den Dollar stärker, dadurch wird Silber, das in Dollar notiert, teurer und für Investoren unattraktiver. Gleichzeitig steigt die Konkurrenz durch Zinsprodukte für das Edelmetall, das eben keine Zinsen abwirft.

"Der Markt für Silber ist sehr eng, deshalb kommt es hier zu stärkeren Kursschwankungen als beim Gold", analysiert Fritsch. Fünf Prozent pro Tag sind nicht selten. "Das steht nicht jeder Privatanleger durch, deshalb raten wir, es mit dem Engagement in Silber nicht zu übertreiben", sagt Hartmann. Wer investiere, sollte zudem einen Anlagehorizont von mindestens sechs Jahren haben, denn kurzfristig könne es immer zu Kurskapriolen kommen: "Manchmal wackelt bei Silber der Schwanz mit dem Hund."

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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